NewsKopie: Merkels Problem mit der amerikanischen Schande

Sonntag, 3. Mai 2009

Merkels Problem mit der amerikanischen Schande


"Was die Welt bewegt"

Das Foltergefängnis Guantanamo wird aufgelöst, für die Gefangenen muss nun eine neue Heimat gefunden werden. US-Jusitzminister Eric Holder wirbt in Berlin um Deutschlands Hilfe. Doch Angela Merkel ziert sich - und stößt damit US-Präsident Barack Obama vor den Kopf.

Er kommt wie eine Kopie seines Chefs daher: locker, lässig, schlank, groß gewachsen, muntere Augen. Er hält am Mittwoch ein Pressegespräch im feinen Berliner Hotel Adlon, mit Blick aufs Brandenburger Tor, und er sagt, wie froh er ist, dass er bislang kein "definitives Nein" gehört hat. Er sagt nicht, von wem er wenigstens kein Nein gehört hat. Aber jeder weiß: Er meint auch die Deutschen.

US-Justizminister Eric Holder III ist auf seiner ersten Europa-Reise, er ist höchstpersönlich nach London, Prag, Berlin, gekommen, denn er hat ein paar schwere Themen zu verkaufen. Dabei geht es um Foltermethoden der CIA und wer sie genehmigt hat, aber vor allem um Guantanamo, ein juristisches Problem der Sonderklasse - und ein moralisches dazu.

Eric Holder hat nicht viel Zeit: Bis zum 22. Januar 2010 soll das Symbol amerikanischer Schande geschlossen werden. Dann ist Barack Obama ein Jahr im Amt. Bis dahin, so hatte er es versprochen, ist Guantanamo abzuwickeln. Was aber tun mit den zurzeit noch 241 Insassen? Was tun mit Überzeugungstätern wie dem 9/11-Planer Khalid Scheich Mohammed? Was tun mit Geständnissen, die unter der Folter des "Waterboarding" erpresst wurden? Was tun mit denen, die wohl gefährlich sind, aber mangels Beweisen nicht angeklagt werden können? Und vor allem: Wohin mit denen, die seit Jahren vollkommen rechtlos gefangen gehalten werden, ohne Anklage? Unschuldige, die in die grausamen Mühlen von Bushs Krieg gegen den Terror gerieten.

Tragische Schicksale im Gepäck
Es sind im Moment 30 Menschen, eine erste Liste der Freiheit, nach Auffassung der US-Behörden könnten sie entlassen werden. Doch viele von ihnen können nicht in ihre Heimatländer zurück, weil ihnen dort Verfolgung, vielleicht Folter drohen. Figuren aus dem Westen Chinas etwa, der unruhigen Unruheprovinz mit einer militanten Unabhängigkeitsbewegung. Fünf von ihnen wurden schon vor einigen Jahren frei gelassen. Albanien erklärte sich bereit, die Männer aufzunehmen. 30 Namen, eine erste Liste. Vielleicht ist auch Mohammed al Gharani darunter, ein junger Mann aus dem Tschad, der nach Guanatanamo geriet, als er 15 Jahre alt war, in Wahrheit noch ein Kind.

Eric Holder hat also tragische Schicksale in seinem Polit-Gepäck, und natürlich fühlt sich der Karriere-Jurist nicht wohl, weil er ja irgendwie Menschen abwickeln, gar verkaufen muss. Redlich müht er sich um eine überzeugende Begründung dafür, dass die rasche Schließung Guantanamos irgendwie auch ein Problem der Europäer ist. Schließlich sei Guantanamo ein Symbol, mit dem man Terroristen rekrutieren könne, so die etwas bemühte Argumentation der USA - und wenn dieses Symbol nicht mehr existiere, dann erhöhe dies auch die Sicherheit europäischer Länder.

Gespaltene Bundesregierung
In Wahrheit drängt die Zeit. Und Präsident Obama will beweisen, dass sich die Alliierten um eine gemeinsame Lösung eines Problems bemühen, das auch ein moralisches ist. Deutschland, so die höflich formulierte Botschaft, soll Guantanamo-Gefangene aufnehmen. Wenigstens einige. Wenigstens einen.

Doch das hört man in Berlin gar nicht gern. Denn hier sind unschuldig einsitzende Gefangene, die nach eingehender Prüfung und Überzeugung der US-Behörden keine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen, in die Gefechte eines Wahlkampfes geraten. SPD-Außenminister Steinmeier will Gefangene aufnehmen und sich als bester Freund Obamas präsentieren, CDU-Innenminister Schäuble ist immer noch strikt dagegen, die zuständigen Kollegen der Bundesländer streiten sich über angebliche Sicherheitsrisiken und mögliche Quoten.

Vor allem aber hat es Eric Holder mit einer Kanzlerin zu tun, die sich nicht festlegen will. In so einer angeblich heiklen Angelegenheit schon gar nicht. Es könnte ja erfordern, Position zu beziehen, auch eine unpopuläre. Es könnte ja erfordern, Entschlossenheit zu zeigen. Führungsstärke zu beweisen.

Also muss der Justizminister höflich guten Willen zeigen, ganz wie sein Chef neulich in Europa. Er hört zu, er spricht von den "Fehlern", die Amerika mache, und er fordert nichts. Man wolle keinen Druck auf die Deutschen machen, heißt es in Washington, doch natürlich ist man irritiert über die Zögerlichkeit, das Hinhalten aus dem Kanzleramt. War es nicht so, dass diese Deutschen vor ein paar Jahren noch ziemlich froh waren, den aus Deutschland stammenden Murat Kurnaz noch länger in Guantanamo schmoren zu lassen - auch dann noch, als die USA darum baten, den Mann nach Hause zu schicken? War damals nicht ein gewisser Frank Walter Steinmeier wissender Kanzleramtschef?

Der Obama-Ton soll's richten
Am Abend seines Berlin-Besuches hält der Justizminister eine Rede in der American Academy, dem kleinen Vorposten des guten Amerika draußen am Wannsee. Er liest vom Blatt, es klingt noch ein wenig hölzern. Holder bemüht die Geschichte, die gemeinsamen Werte. Den gemeinsamen Kampf um Berlin, den gemeinsam errungenen Sieg über den Kommunismus - und jetzt ginge es um den gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus. "Europa hat Guantanamo nicht eingerichtet", sagt er. "Ich weiß, viele in Europa waren von Anfang an gegen Guantanamo. Doch jetzt sollten wir gemeinsame neue Lösungen finden. Um Guantanamo zu schließen, müssen wir alle Opfer bringen. Und wir alle müssen bereit sein, unpopuläre Entscheidungen zu treffen."

Eric Holder tat, was er tun musste. Er hörte zu, er argumentierte, er appellierte an gemeinsame Verantwortung. Daran, dass Moral und Anstand keine Grenzen kennen. Er setzte den neuen Ton, den Obama-Ton.

An Paris ein Beispiel nehmen
Doch sehr bald, in wenigen Wochen schon, sagt Holder, werde er erste Anfragen an die Alliierten zur Aufnahme von Guantanamo-Gefangenen stellen. Auch an die Bundesrepublik? Da lächelt der Justizminister. Diese Frage muss er nicht beantworten. Er sagt, er habe eine Liste. Auf dieser Liste stehen 30 Namen. 30 traurige, tragische Geschichten. Und einige davon werden bald als Anfrage auf dem Tisch der Kanzlerin landen.

Vielleicht könnte sich Angela "Mutlos" Merkel wenigstens in diesem Punkt ein Beispiel an ihrem nassforschen Kollegen Nicolas Sarkozy nehmen. Er erklärte, Frankreich nehme einen Guantanamo-Häftling auf. Das hatte er im Namen der Grande Nation entschieden. Basta.

Manchmal scheint es gar nicht so schwer zu sein mit Führungsstärke.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen