NewsKopie: Kunduz-Affäre belastet Regierung

Dienstag, 1. Dezember 2009

Kunduz-Affäre belastet Regierung

Kunduz-Affäre belastet Regierung
Ein Angriff, drei Rücktritte und viele offene Fragen

Franz Josef Jung musste wegen des Kunduz- Bombardements gehen - nun steht Verteidigungsminister Guttenberg in der Verantwortung. Auch Kanzlerin Merkel drohen in den kommenden Wochen unangenehme Fragen. SPIEGEL ONLINE zeigt, welche Punkte die Regierung klären muss.

Berlin - Zum Abschied gab es noch mal ein paar warme Worte in Schloss Bellevue, je einen freundlichen Handschlag vom Bundespräsidenten und der Kanzlerin - dann war Ministerkarriere von Franz Josef Jung Geschichte. Der ehemalige Chef des Verteidigungsressorts war wegen der Kunduz-Affäre auch als Arbeitsminister nicht mehr tragbar, Angela Merkel zog die Reißleine.

Doch nach dem Abgang des hessischen CDU-Mannes steht nun der aktuelle Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg in der Verantwortung. Am Dienstagabend muss der CSU-Mann deshalb vor dem Auswärtigen Ausschuss Rede und Antwort stehen.
Längst sind nicht alle Fragen beantwortet, wie es Anfang September zu dem fatalen Bombardement in Afghanistan und dem anschließenden Kommunikations-Desaster kommen konnte. Auch von der Kanzlerin werden in den nächsten Wochen Antworten erwartet, außerdem droht der Bundesregierung ein Untersuchungs-Ausschuss. Es steht sogar der Vorwurf im Raum, die Regierung Merkel habe in den Tagen vor der Bundestagswahl am 27. September Informationen vertuscht, um einen Unions-Erfolg nicht zu gefährden.

SPIEGEL ONLINE analysiert, welche Fragen offen sind - und welche Punkte für Merkel und Guttenberg brisant werden könnte.

2. Teil: 1. Gab es wirklich keine Alternative zu dem Bombardement?

Die Aufarbeitung der Stunden vor dem Anschlag wird für die Regierung ein heikler Spagat. Immer wieder hatte das Wehrressort unter dem damaligen Minister Jung behauptet, die angespannte militärische Lage rund um Kunduz habe den Angriff auf die entführten Laster unumgänglich gemacht, da diese später als "rollende Bomben" gegen das deutsche Camp eingesetzt werden könnten.

Hinweise auf solche Angriffe gab es in Kunduz in der Tat mehrmals, doch eine genauere Recherche zeigt schon jetzt, dass die Theorie sich in diesem Fall schwer halten lässt. Nach der Entführung dirigierten die Taliban die Laster erst auf der Hauptstraße nach Süden, dann auf einer Schotterpiste nach Westen, immer weiter weg vom Camp. Die extrem langsamen Laster hätten sich zudem zu keinem Zeitpunkt ohne lange Vorwarnzeit dem Camp nähern können. Das Lager liegt auf einem Hochplateau, ein Blitzangriff ist wegen des Anstiegs schwer möglich.

Eine "unmittelbare Gefahr", wie es die Nato-Vorschriften vor einem Luftschlag vorsehen, kann man aus der Angst vor den rollenden Bomben nicht konstruieren. Die heutige Sicht auf die Lage in der Nacht zum 4. September zeigt zudem, dass der Kommandeur gegen zahlreiche Regeln verstieß: Es muss geklärt werden, wie und warum Oberst Georg Klein - der für den Einsatz verantwortliche Offizier des Bundeswehrlagers in Kunduz - zur Anforderung der Jets zuerst eine Feindberührung erfand und dann eine unmittelbare Bedrohung konstruierte, die es so nie gab.

Die Hinweise auf die heikle Lage rund um Kunduz, die sich in den letzten Monaten tatsächlich massiv verschlechtert hat, bergen für die Regierung zusätzliche Probleme. Wenn man offen mit den Informationen umgeht, wird für die Öffentlichkeit ein unschönes Bild sichtbar. So stellt die Nato den Deutschen für ihre Region ein schlechtes Zeugnis aus, das kaum ein Politiker der deutschen Öffentlichkeit zumuten mag.

In den bisher geheimen Berichten werden Namen von Taliban-Führern inklusive ihrer Verbindungen nach Pakistan zur Führungsebene genannt, ebenso Gruppen mit ausländischen Kämpfern und Kontakten zu al-Qaida. Im Detail würde man diese Lagebewertung, auch wenn sie ein harsches Vorgehen gegen Taliban rechtfertigt, sicher nicht öffentlich diskutieren.

3. Teil: 2. Warum bezeichnete Guttenberg den Luftschlag am 6. November als "militärisch angemessen"?

Die einfache Antwort lautet: CSU-Mann Guttenberg - gerade erst ins Wehrressort eingezogen - musste das tun. Am 29. Oktober hatte die Nato der Bundesregierung ihren geheimen Bericht zur Verfügung gestellt. Der damalige Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan hatte nach Lektüre den Luftschlag als "militärisch angemessen" bewertet.

Dieser Sprachregelung schloss sich Guttenberg nach eigener Lektüre des rund 500 Seiten langen und in sehr neutraler Sprache verfassten Nato-Berichts unter dem Hinweis auf die "Gesamtbedrohung" an. Andernfalls hätte sich der neue Verteidigungsminister gleich in einer elementar wichtigen Frage gegen die Spitze der Bundeswehr und gegen die Truppe gestellt.

Gleichwohl musste er einen neuen Stil pflegen, um sich von der miserablen Informationspolitik seines Vorgängers Jung abzusetzen. Deshalb übte er sich im Spagat: Er verteidigte den Bombenangriff, gestand aber zivile Opfer sowie "Verfahrensfehler" bei der Auslegung der strikten Nato-Regeln für Luftangriffe ein.

Damals kam sein Auftritt als Beweis für die neue Transparenz des Ministeriums gut an - jetzt droht er zum Problem für Guttenberg zu werden. Denn rätselhaft bleibt etwa, warum der 37-Jährige den Angriff nicht nur als "angemessen", sondern ihn auch noch als unvermeidbar bewertete: "Selbst wenn es keine Verfahrensfehler gegeben hätte, hätte es zum Luftschlag kommen müssen."

Eine Haltung, die Guttenberg selbst inzwischen bereuen dürfte. Vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen wolle er nun eine Neubewertung des Bombardements vornehmen, beteuert er. Zu jenem Zeitpunkt habe er sich allein auf den Nato-Bericht gestützt, neun Berichte seien ihm vorenthalten worden. Es ist eine durchaus angreifbare Argumentation, da ihm die Berichte zwar nicht einzeln vorlagen, in den Nato-Bericht aber überwiegend eingeflossen waren.

4. Teil: 3. Was gab es für Fehler nach dem Bombardement - und warum wurden die erst so spät bekannt?

"Klar ist, dass vor Ort Fehler gemacht wurden, sowohl vor wie nach dem Luftschlag." Das ist die Linie von Verteidigungsminister Guttenberg. Eine neue Linie. Zwar hatte der CSU-Politiker schon am 6. November, als er sich erstmals vor Journalisten zu dem Kunduz-Bombardement äußerte, von Fehlern bei dem Einsatz gesprochen. Allerdings meinte er damit nur die Zeit vor dem Bombenabwurf, er sprach von den formalen Fehlern des Oberst Klein, der entgegen mehrerer Isaf-Regeln einen Luftangriff anordnete.

Damals war für den neuen Verteidigungsminister allerdings auch noch klar, dass der Luftschlag alternativlos war. Daran gibt es zunehmend Zweifel, auch bei Guttenberg selbst. Deshalb die angekündigte "Neubewertung", eine Task Force im Ministerium arbeitet fieberhaft daran. Intern tobte der Minister als er von "Bild" erfahren musste, dass es neben dem offiziellen Nato-Bericht noch einen weiteren Report über den Angriff gab - den Feldjäger-Report. Mittlerweile weiß er auch von den weiteren Papieren, die sein Ministerium ihm vor seiner wichtigen Festlegung nicht gab. Wann er noch mal zur Bewertung ansetzen will, ist noch nicht klar, doch sie wird wesentlich kritischer ausfallen als die erste.

Noch offensichtlicher erscheinen die Fehler nach dem Luftschlag: Oberst Klein handelte anschließend offenbar nach dem Vogel-Strauß-Prinzip. Nachdem er den Befehl für das fatale Bombardement gegeben hatte, leitete er keinerlei Untersuchung des Tatorts ein - obwohl dies aufgrund der erst Anfang Juli von der Isaf erlassenen Vorschrift "innerhalb von zwei Stunden" hätte passieren müssen. Kleins Zurückhaltung, so konstatieren die Feldjäger in ihrem Bericht, "verhinderte …eine frühzeitige und möglichst objektive Information der militärischen und politischen Entscheidungsträger in Deutschland, aller beteiligten Isaf-Nationen, der Medien und der Öffentlichkeit".

Ein vernichtendes Urteil für Klein. Doch der damalige Verteidigungsminister Jung interessierte sich dafür auch dann nicht, als er den Feldjäger-Report nach einiger Verzögerung vorgelegt bekam - weil der inzwischen zurückgetretene Generalinspekteur Schneiderhan ihn offenbar so lange wie möglich zurückhielt.

Guttenbergs Position im Ausschuss wird nicht einfach. Zwar lobt die Opposition seinen Hang zur Offenheit und Klarheit. Wie er aber, selbst wenn er nur den recht neutral gehaltenen Nato-Bericht kannte, den Angriff so eindeutig verteidigen konnte, wird er beantworten müssen.

5. Teil: 4. Wer war für die Vertuschung des Feldjägerreports verantwortlich?

Generalinspekteur Schneiderhan erkannte offenbar die Brisanz des Feldjäger-Berichts - und leitete ihn deshalb wohl erst nach zwei Wochen an die Nato weiter. Das verheerende Urteil der Militärpolizei über Oberst Klein kam für die Bundeswehr-Führung zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Denn Isaf-Chef Stanley McChrystal hatte unmittelbar nach dem Einsatz schon das von Klein befohlende Bombardement kritisiert.

Der deutsche Isaf-General Egon Ramms schien die entsprechenden Untersuchungen der McChrystal-Leute in ihrer Brisanz zu erkennen, doch Schneiderhan winkte ab. Stattdessen stützte er öffentlich Oberst Klein und sprach am 11. September von "einer ganz sorgfältigen Beurteilung der Lage". Und noch am 29. Oktober sagte Schneiderhan, es gebe keine Bestätigung dafür, dass bei dem Angriff "unbeteiligte Personen" getötet worden seien.

Auch der bisherige Verteidigungs-Staatssekretär Peter Wichert, der gemeinsam mit Schneiderhan am Donnerstag entlassen wurde, wusste offenbar von dem Feldjäger-Bericht. Auch er sah demnach keine Notwendigkeit, diesen rasch weiterzuleiten. Der damalige Verteidigungsminister Jung wiederum erfuhr, nach einigen Angaben, von dem Bericht erst mit großer Verspätung - und leitete ihn ungelesen an die Nato weiter.

Jung, Schneiderhan und Wichert sind weg - der neue Verteidigungsminister Guttenberg ist noch da. Kanzlerin Merkel sollte ihn nach allen Kräften dabei unterstützen, die Pannen jetzt lückenlos aufzuklären. Sonst droht das deutsche Engagement in Afghanistan immer weiter in Misskredit zu geraten - ihre Regierung allerdings auch.

6. Teil: 5. Was wusste Kanzlerin Merkel, als sie ihre Regierungserklärung hielt?

Anders als Verteidigungsminister Jung hatte Angela Merkel nie zivile Opfer ausgeschlossen. Bereits am 6. September betonte sie nach einem Treffen mit dem britischen Premier Gordon Brown: "Wenn es zivile Opfer gegeben hat, dann werde ich das natürlich zutiefst bedauern." In ihrer Regierungserklärung vom 8. September drückte sie ihre Trauer über "jeden Einzelnen" aus, sagte aber auch: "Über die Folgen, insbesondere über zivile Opfer, gibt es widersprüchliche Meldungen."

Eine Formulierung, die ihr im Untersuchungsausschuss noch um die Ohren fliegen könnte. Denn sowohl interne Berichte als auch öffentliche Quellen gingen schon vor ihrer Rede wesentlich weiter. So steht inzwischen fest, dass am 7. September die Nato ihren 27-seitigen "Initial Action Team"-Report nach Berlin kabelte. Der stellte gleich auf Seite eins fest: "Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit hat es zivile Opfer gegeben."

Das Kanzleramt hat sich bereits gut auf mögliche Vorwürfe vorbereitet und schließt aus, dass Merkel diesen ersten Nato-Bericht vor ihrer Regierungserklärung zu Gesicht bekommen hat. Mit Sicherheit dürfte aber die Opposition im Untersuchungsausschuss die Frage stellen, warum sie sich vor einem solch wichtigen Auftritt wie jener Regierungserklärung nicht sämtliche zur Verfügung stehenden Informationen hatte zukommen lassen. Seinen eigenen Laden unter Kontrolle zu haben und über alles Wichtige informiert zu sein, das weiß auch Merkel, gehört zu ihrem Kerngeschäft. Erst recht im Wahlkampf.

Auch das Fernsehen sprach schon früh eine deutliche Sprache. Am 5. September begleiteten mehrere deutsche TV-Sender einen Besuch von Isaf-Chef McCrystal ins Krankenhaus von Kunduz. Er sprach dabei auch mit einem bei dem Angriff verletzten 10-jährigen Jungen, der in die Kameras sagte: "Ich wollte Benzin aus dem Tanklaster holen, dann gab es einen großen Knall, was danach passiert ist, weiß ich nicht." McCrystal wurde im Anschluss an seinen Besuch mit dem Satz zitiert: "Nach allem, was ich heute im Krankenhaus von Kunduz gesehen habe, ist klar, dass mehrere Zivilisten bei dem Angriff verletzt worden sind."

7. Teil: 6. Gab es Versuche, die Angriffe gegen Deutschland vor der Bundestagswahl und danach abzumildern - und wer ist dafür verantwortlich?

Politisch betrachtet eine der heißesten Fragen für den Untersuchungsausschuss. Wenn die Aufklärer Beweise finden würden, dass die Bundesregierung - egal ob aus einem Ministerium oder gar aus dem Kanzleramt heraus - Druck auf die Nato gemacht haben, den endgültigen Bericht wenig pointiert und vor allem erst nach der Bundestagswahl zu veröffentlichen, wäre dies ein ausgemachter Skandal, eine beweisbare Vertuschung.

Ansatzpunkte gibt es: Nach Informationen des SPIEGEL gab die Regierung dem Nato-Oberkommandierenden in Europa, Admiral James G. Stavridis, bei einem Besuch in Berlin zu verstehen, dass eine allzu deutliche Verurteilung des deutschen Obersts durch die Nato in Deutschland zu juristischen Problemen führen könnte. Stavridis könnte für den Vorgang ein Zeuge sein, der möglicherweise sogar aussagen würde.

Vermutlich ist die Beeinflussung aber über mehrere Ebenen gelaufen. Top-Militärs gaben sich in den Wochen nach dem Bombardement auffällig sicher, dass man auf höchster Ebene eine Verurteilung durch die Nato verhindert habe. Diesen Vorgang plastisch zu machen, wäre eine Sensation für den Untersuchungsausschuss und eine große Gefahr für die Regierung.

Ganz gleich, ob man die Bemühungen beweisen kann, hatten sie Erfolg. Der Isaf-Bericht enthält sich tatsächlich weitgehend jeder Bewertung und ist in einem neutralen Ton abgefasst.

Image Hosted by ImageShack.us

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen