Schweiz will Einwanderung aus Deutschland bremsen
Die Deutschen müssen sich womöglich bald ein anderes liebstes Auswanderungsziel suchen. Wegen Rekordeinwanderung und steigender Arbeitslosigkeit denkt die Schweizer Regierung über einen Einwanderungstopp nach - für Deutsche und andere EU-Bürger.
"Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen", stellte der Schweizer Schriftsteller Max Frisch über die italienischen Gastarbeiter fest. Als die Wirtschaft in den siebziger Jahren aufhörte zu boomen, schickte man die billigen Ausländer einfach wieder zurück.
"Wir haben Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Deutsche", könnte man in Abwandlung des Bonmots heute sagen. Vergangenes Jahr schwoll die Zahl der deutschen Staatsangehörigen um 16 Prozent auf 233.352 an, in der Schweizer Wirtschaftsmetropole Zürich bilden die Deutschen mittlerweile die mit Abstand größte Ausländergruppe.
Angesichts der Wirtschaftskrise steht die Schweizer Regierung wieder vor der heiklen Frage, was mit den ausländischen Arbeitskräften geschehen soll. Schon steigt die Arbeitslosenzahl bedrohlich und damit die Nervosität im Berner Bundeshaus, dem Schweizer Regierungssitz. Einfach an die Grenze gestellt werden können die Mediziner, Banker, Anwälte, Werber oder Journalisten nicht mehr. Denn heute sind EU-Bürger vertraglich mit den einheimischen Arbeitskräften praktisch gleichgestellt.
Am Wochenende sickerte in der Schweizer Presse aber durch, dass der Bundesrat einen Einwanderungsstopp für Deutsche und andere EU-Bürger in Betracht ziehen würde. Im Rahmen der bilateralen Verträge mit der EU darf die Schweiz unter bestimmten Bedingungen die Schutzklausel - auch Ventilklausel genannt - ausrufen und damit die Einwanderung einschränken. Und zwar dann, wenn die Immigration ein Jahr lang um zehn Prozent höher lag, als der Durchschnitt der drei Vorjahre. Dies ist nun der Fall.
Betroffen davon wären die 15 alten EU-Staaten, die Zuwanderung aus den acht Staaten der Osterweiterung ist ohnedies begrenzt. Sollte die Schweiz in den kommenden Wochen die Schutzklausel anwenden, könnte die Einwanderung von Deutschen oder Portugiesen für die Dauer von höchstens zwei Jahren auf den Durchschnitt der Vorjahre plus fünf Prozent begrenzt werden.
So hoch die Wogen in der Schweizer Presse gehen, die Folgen wären vergleichsweise gering. Noch im vergangenen Frühling spielten zwar 43 Prozent der Deutschen mit dem Gedanken, in die Schweiz auszuwandern. Seit dem Ende der Hochkonjunktur ist die Auswanderungslust in Europa deutlich gesunken. Im November und Dezember sind rund 20.000 EU-Bürger in die Schweiz gezogen. Das ist ein Drittel weniger als in den beiden Monaten zuvor und ein Minus von 20 Prozent im Vorjahresvergleich. Im ersten Quartal 2009 nahmen die Daueraufenthaltsbewilligungen um 40 Prozent ab, diejenigen aus Deutschland gar um 60 Prozent.
Der Zürcher "Tages-Anzeiger" ist denn auch überzeugt, dass der Arbeitsmarkt in der gegenwärtigen Situation ohnehin nicht zu schützen ist. "Für die Sozialwerke wäre weder die rückläufige Zuwanderung noch die Schutzklausel eine Entlastung. Denn sie leiden unter jenen Ausländern, die bereits in der Schweiz sind und hier arbeitslos sind."
Warum die Boulevardpresse so nüchtern bleibt
Bei der Schutzklausel handelt es sich viel mehr um eine innenpolitische Beruhigungspille. Die rechtsbürgerliche Schweizerische Volkspartei (SVP) fordert seit jeher, den Zugang von Ausländern zum Arbeitsmarkt zu beschränken. Der jüngst deutliche Anstieg der Arbeitslosigkeit auch unter den Ausländern ist freilich Wasser auf ihre Mühlen. Im April waren in der Schweiz 136.700 Arbeitslose gemeldet (plus 35 Prozent), knapp die Hälfte waren Ausländer. Die Zahl deutscher Staatsangehöriger ohne Arbeit hat sich seit 2007 auf 5337 verdoppelt. Deshalb fordert die SVP die Regierung auf, "umgehend zu reagieren", denn "die freie, unkontrollierte Zuwanderung in die Schweiz ist für unser Land nicht mehr tragbar", heißt es in einer Pressemitteilung.
Obwohl mit der Schutzklausel gleich mehrere Reizthemen tangiert werden, verlief die öffentlich geführte Diskussion bisher erstaunlich nüchtern. Dies überrascht um so mehr, als dass Finanzminister Peer Steinbrücks Tiraden, der Abschuss des Bankgeheimnisses oder der Niedergang der Großbank UBS eigentlich noch nicht verdaut sind. So hatte nicht einmal die Boulevardpresse Lust, die Schutzklausel zur Retourkutsche gegen Deutschland hochzustilisieren.
Vielleicht hat man mittlerweile akzeptiert, dass die Einwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte mehr wirtschaftliche Vorteile als Nachteile bringt. So zum Beispiel im Gesundheitswesen: "Ohne die deutschen Kolleginnen und Kollegen könnten wir den Betrieb der Spitäler gar nicht aufrechterhalten", sagte Peter Studer, Präsident des Verbands Schweizerischer Assistenz- und Oberärzte.
Vielleicht sind die Deutschen den Schweizern doch sympathischer, als sie zugeben möchten. So sind bei binationalen Eheschließungen deutsche Frauen die bevorzugten Partnerinnen der Schweizer Männer. Wahrscheinlich ist die nüchterne Reaktion aber einfach ein Ausdruck des Überdrusses angesichts der vielen apokalyptischen Meldungen: Finanzkrise, Bankenkrise, Wirtschaftskrise, schwarze Liste, Schweinegrippe - und jetzt noch Masseneinwanderung.
Von Michael Soukup
Mittwoch, 13. Mai 2009
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