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Dienstag, 30. Dezember 2008

Längste Strafzeit in Deutschland

49 Jahre saß er hinter Gittern – so lange wie kein anderer deutscher Häftling. Jetzt starb Heinrich Pommerenke. Die Aufseher fanden ihn tot in seinem Bett im Gefängniskrankenhaus. Pommerenke saß wegen Ermordung von vier Frauen, sieben Mordversuchen, zwei Vergewaltigungen und sechs Raubüberfällen.

Schwerkrank war er zuletzt, alt und vereinsamt. Heinrich Pommerenke, bei seiner Verurteilung als „Bestie in Menschengestalt“ gescholten, hat bis zu seinem Tod einen einsamen Rekord gehalten: Der Frauenmörder, der am Samstag im Gefängniskrankenhaus Hohenasperg bei Ludwigsburg im Alter von 71 Jahren an den Folgen einer Blutkrankheit starb, saß seit fast fünf Jahrzehnten im Gefängnis – so lange wie kein anderer in Deutschland.

Sein Fall ist ohne Beispiel in der deutschen Justizgeschichte, nicht nur, was die Brutalität seiner Verbrechen angeht. Erst vor vier Jahren stufte ein Gutachter den alten kranken Mann als ungeeignet für eine Entlassung ein, obwohl seine Strafe seit 2001 als verbüßt galt. Wenig verwunderlich: In all den Jahrzehnten bekam Pommerenke nur wenige Stunden Therapie – das jahrelange Ringen seines Anwalts um weitere Angebote scheiterte an der Bürokratie.

2007 schließlich schien endlich der Durchbruch geschafft: Pommerenke wurde in die sozialtherapeutische Anstalt auf dem Hohenasperg verlegt – doch wieder einmal zerstob die Hoffnung. Nach einem Dreivierteljahr wurde die Aufnahme des Langzeithäftlings ins Therapieprogramm abgelehnt.

Von der DDR in die Bundesrepublik

Der gebürtige Mecklenburger Pommerenke, Anfang der 1950er Jahre aus der DDR in die Bundesrepublik gekommen, verübte schon als junger Mann in Süddeutschland erste Verbrechen, auch im österreichischen Bregenz geht er auf Raubzug, in Schaffhausen in der Schweiz wurde er wegen Vergewaltigung verurteilt. Am 19. Juni 1959 ging Pommerenke endlich ins Netz der Polizei. Damals stand die Berliner Mauer noch nicht, Willy Brandt sollte erst zehn Jahre später Bundeskanzler werden, ein Jahrzehnt zuvor war die Todesstrafe in Deutschland abgeschafft worden.

Seine frühe Biografie ist blutig: Nach einer ärmlichen und lieblosen Jugend schlägt sich Pommerenke zunächst bei Schaustellern durch, als Verkäufer in Bahnhofskiosken und als Schlafwagenkellner in Fernzügen. In Hornberg im Schwarzwald arbeitet er als Tellerwäscher und kickt auf dem Bolzplatz mit den Schäuble-Brüdern Wolfgang und Thomas. Ende der 50er Jahre stellt er sich endgültig ins Abseits - und versetzt die Menschen im Südwesten in Angst und Schrecken. Vier Frauen ermordet Pommerenke auf brutale Weise. Er vergewaltigt, raubt, stiehlt, mal schlägt er in Karlsruhe zu, mal in Hornberg, in Singen, in Triberg oder Baden-Baden.

Nur durch einen Zufall wird Pommerenke gefasst – ein Schneider aus Hornberg entdeckt ein abgesägtes Gewehr in einer Aktentasche, die Pommerenke dort hatte liegen lassen. Oder war es Absicht? „Ich hatte keinen Ausweg mehr. Ich wollte verhaftet werden“, sagte Pommerenke 2006 in einem langen Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa.

"Vor Ihnen sitzt der Teufel"

Insgesamt 65 Straftaten gesteht Pommerenke der Polizei und sagt den Beamten: „Vor Ihnen sitzt kein Mensch, sondern der Teufel.“ Das Landgericht Freiburg verhängt sechsmal lebenslanges Zuchthaus, dazu - aus Einzelstrafen von zusammen 156 Jahren – weitere 15 Jahre Gesamtstrafe. Und der damalige Oberstaatsanwalt beschwört 1960 eine regelrechte Höllenstrafe: Hinter Pommerenke „werden sich neun Tore schließen, durch die er nie mehr herauskommen soll“, sagt er voraus. „In die neunte Hölle Dantes muss er hinein.“

Erst 34 Jahre später setzte Pommerenke zum ersten Mal wieder einen Fuß vor die Tür des Gefängnisses in Bruchsal bei Karlsruhe, in dem er - ebenso wie der frühere RAF-Terrorist Christian Klar – die meiste Zeit seiner Haft verbrachte. Den Ausflug nahm der JVA-Direktor auf seine Kappe, während der damalige baden-württembergische Justizminister Thomas Schäuble in einer Radiosendung sagte, der Mörder, mit dem er als Kind Fußball gespielt habe, dürfe nicht wieder aus der Haft kommen. Pommerenke selbst gab aber auch vor seinem Tod zu bedenken, dass seine Lebensfähigkeit in Freiheit zunächst erarbeitet werden müsse: „Ich möchte nicht entlassen werden, wenn die Frauen vor mir schreiend davon laufen müssen.“

Geistig lebendig, gesundheitlich angeschlagen

Sogar das Bundesverfassungsgericht nahm sich Mitte der 90er Jahre des Falls an und entschied, es sei mit der Menschenwürde unvereinbar, die Chance auf Freiheit auf einen „von Siechtum und Todesnähe gekennzeichneten Lebensrest zu reduzieren“. Anders ausgedrückt: Es gibt ein Recht auf ein würdevolles Lebensende in Freiheit. Pommerenke, gegeißelt als „Scheusal vom Schwarzwald“, litt damals an Nierenkrebs, die Ärzte gaben ihm maximal fünf Jahre. Doch aus Sicht eines Sachverständigen war die Rückfallgefahr bis zuletzt nicht ausgeräumt.

Zuletzt galt Pommerenke – geistig lebendig, aber gesundheitlich schwer angeschlagen – als Exempel für die einen, die ihn für immer wegsperren wollten, Justizskandal für die anderen, die Lockerungen forderten. Denn nach ihrer Überzeugung widerspricht die lange Strafhaft dem Ziel eines humanen Strafvollzugs und der Humanität der Gesellschaft insgesamt. Unbegrenzte Freiheit hätte für Pommerenke nach all den Jahrzehnten hinter Stahltüren auch zu einer Strafe werden können. Dennoch hatte er eine Vorstellung von Freiheit. Was er machen würde, wenn er draußen wäre? „Schnecken und Fische züchten. Mich in der Natur bewegen“, sagte Pommerenke im Gespräch.

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