Leonardo DiCaprio über seine Albträume und die Allmacht des Unterbewusstseins in Christopher Nolans außergewöhnlichem Thriller „Inception"
FOCUS: Im Deutschen gibt es den Begriff Traumfabrik für Hollywood. Sollten Filme eigentlich mehr zum Denken oder zum Träumen anregen?
Leonardo DiCaprio: Sie sollten die Vorstellungskraft erforschen, und das tun sie oft nicht genug. Letztlich steht hinter der Kunst ja eine Industrie, und insofern zielen die Inhalte auf die Zuschauer-Erwartungen ab, auf traditionelle Erzählweisen und Plot-Strukturen. Wenn man auf Nummer sicher gehen will, gibt man dem Publikum also das, was es schon oft gesehen hat. Andererseits ist es natürlich riskant, wenn da jemand im Regiestuhl versucht, in andere Dimensionen vorzudringen. Er muss das wirklich beherrschen und sich gleichzeitig nicht völlig vom Erfahrungshorizont des Publikums ablösen. Das ist schwierig, eine Gratwanderung. Als sich hier mit Chris Nolan die Möglichkeit bot, mit jemandem zu arbeiten, der bewiesen hat, dass er große Zuschauermassen ansprechen kann und zugleich abgedrehte Konzepte verfolgt, habe ich die sofort ergriffen.
FOCUS: Sein Film „Inception“ basiert auf der Idee, dass Ideen im Unterbewusstsein abgespeichert und von dort, mit spezieller Technik, abrufbar sind. Ist das allein Nolans Fantasie, oder gibt es dafür wissenschaftliche Belege?
DiCaprio: Nein, das ist schon pure Science-Fiction. Ich bin die Rolle auch erst mal ganz traditionell angegangen, habe mich mit Traumdeutung, mit Freud und Jung beschäftigt. Bis ich gemerkt habe, dass ich das vergessen kann. Weil Träume eben nicht einzugrenzen sind, sind es Chris´ Regeln, nach denen die Verschachtelung der verschiedenen Welten funktioniert. So ein Regelwerk braucht es, um dem Geschehen auf der Leinwand folgen zu können, und das ist von ihm definiert.
FOCUS: Gibt es denn Bilder in dem Film, die Sie aus Ihren eigenen Träumen kannten?
DiCaprio: Nein, aber mich hat die Idee fasziniert, dass zwei Menschen in dieser Traumwelt eingeschlossen sind. Meine Figur ist ja abhängig, süchtig nach Träumen und will sich den Konsequenzen der Realität nicht stellen. Und da gibt es diese Liebesgeschichte, die sich in einer anderen Welt vollzieht. Dass zwei Liebende etwas verbindet, das mit unserem Begriff von Wirklichkeit nicht fassbar ist, fand ich sehr ergreifend.
FOCUS: Im Film sind Sie ein Traumdieb. Darf man die Träume des Partners kennen?
DiCaprio: Wenn der es erlaubt. Im Moment geht die Diskussion ja doch eher in die Richtung, inwieweit die Regierung fähig ist, den Einzelnen und sein Leben auszuspionieren. Etwas, das die Bürger als extrem bedrohlich und illegal empfinden.
FOCUS: Heißt Liebe nicht auch, die Träume zu teilen?
DiCaprio: Klar, darum geht es im Leben.
FOCUS: Hat der Superstar Leonardo DiCaprio eigentlich noch Träume?
DiCaprio: Ja, einen ganz schlichten und großen: dass wir zu meinen Lebzeiten einen echten Fortschritt erzielen, die Erde zu erhalten. Darauf konzentriere ich meine Energie, wenn ich nicht schauspielere. Mit unterschiedlichen Organisationen versuche ich, Konzepte zu erarbeiten und Dinge auch gesetzlich zu fixieren. Aber ich möchte nicht wie ein Politiker klingen, das langweilt die Leute. Ich möchte lieber etwas voranbringen.
FOCUS: Nach dem mauen Umweltgipfel in Kopenhagen sagten Sie, Sie wollen Präsident Obama noch Zeit geben. Nun gab es die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, wie sehen Sie das heute?
DiCaprio: Gut, zumindest hat man mal in verschiedenen Regionen Bohrungen verboten. Politik ist nun mal ein komisches Geschäft, aber unter dem Strich bleibt es ein Geschäft. Abhängig von den verschiedensten Abteilungen in unserem parlamentarischen und juristischen System. Ich weiß nur, dass Obama wirklich gute Absichten hat und das Beste für das Land, die Menschen und die Umwelt will. Wie das umgesetzt wird, hängt auch von jedem Einzelnen ab.
FOCUS: Haben Sie denn selbst auch vor, sich in Sachen Ölkatastrophe zu engagieren?
DiCaprio: Nach der Premierentour zu „Inception“ werde ich mich mit Frances Beinecke, der Chefin der Umweltorganisation Natural Ressources Defense Council, unterhalten, was man noch tun kann. Es ist ja etwas vertrackt, weil BP so klar verantwortlich ist und die auch das Geld haben, für den Schaden aufzukommen. Aber man muss sich mal genau anschauen, was sich da jenseits der berechtigten Wut auf BP noch sinnvoll in Angriff nehmen lässt.
FOCUS: Sie sagten mal, „Schmerz vergeht, aber Filme bleiben“. Jagen die Sie im Traum?
DiCaprio: Es ist eher so, dass ich mir getriebene und emotional gestörte Figuren als Schauspieler aussuche und aus diesen Rollen dann quasi erlöst herausgehe. Diese Erfahrungen verfolgen mich nicht, es ist eher wie eine Therapie.
FOCUS: Sie träumen auch nicht davon?
DiCaprio: Unlängst hatte ich mal einen Albtraum. Ich erinnerte mich darin zwar nicht an „Inception“, aber ich war doch fähig, den Traum so zu manipulieren, dass ich mich aus dem Alb positiv herausreden konnte. Ich fand das dann ziemlich cool. Aber einfacher ist es, vor dem Zubettgehen kein Riesenmenü zu verdrücken, dann hat man keine solchen Träume!
FOCUS: Hatten Sie als Kind viele Albträume?
DiCaprio: Nein, ich erinnere mich ohnehin kaum an Träume. Es gibt nur diese eine, wohl vielen bekannte Situation, diese Art Lähmung, wenn man glaubt, völlig wach und aktiv zu sein, sich aber trotzdem nicht vom Fleck bewegen kann. Das hab ich öfter erlebt.
FOCUS: Sie sind angeblich mal wahnsinnig erschrocken, als Sie mit Ihrem Vater beim Tauchen plötzlich von mehreren Haien umgeben waren. Das kommt nicht als Albtraum zurück?
DiCaprio: Ich habe inzwischen eine Doku über Haie gesehen, wie wichtig sie für das Ökosystem sind und wie sie zugleich gejagt und fast ausgerottet werden. Ich sage nichts Schlechtes mehr über Haie!
FOCUS: Aber sie könnten durch Ihre Träume geistern?
DiCaprio: Kein schlechtes Wort mehr über Haie!
FOCUS: Bei diesem Erlebnis erwähnten Sie Ihren Vater, sonst reden Sie meist von Ihrer deutschstämmigen Mutter, die Sie oft begleitet . . .
DiCaprio: Ich habe auch zu ihm ein sehr gutes Verhältnis, momentan begleitet er mich zum Beispiel. Meine Mutter kam als deutsche Emigrantin zusammen mit ihren Eltern nach New York, in die Bronx. Dort lernte sie meinen Vater kennen, der italienischer Abstammung ist, und gemeinsam gingen sie nach Los Angeles. Und als sie sich trennten, blieben sie noch eine Zeit lang Nachbarn. Ich konnte von meiner Mutter einfach rüberlaufen zum Haus meines Vaters. Er lebt jetzt wieder in New York, aber ich hatte eine tolle Kindheit und klasse Eltern.
FOCUS: Beim WM-Spiel Deutschland – Argentinien konnte man Sie auf der Tribüne sehen. Bisher fielen Sie gar nicht als Fußball-Fan auf . . .
DiCaprio: Ich wusste bis vor vier Wochen auch nicht, dass ich einer bin. Mein Patensohn wollte unbedingt ein WM-Spiel live sehen. Als Überraschungsgeschenk haben wir zwei Viertelfinal-Spiele angeschaut, und natürlich machen mich meine Wurzeln zu einem Deutschland-Fan.
FOCUS: In Ihrer Kindheit und Jugend waren Sie öfter in Deutschland bei Ihrer Großmutter. Haben Sie in den letzten Jahren von dem neuen Lebensgefühl hierzulande etwas mitbekommen, von dem Umstand, dass sich ein unverkrampfter Patriotismus ausgebreitet hat und die Vergangenheit nicht mehr alles dominiert?
DiCaprio: Ich weiß nicht, offenkundig hat Deutschland ja noch mit den Nachwehen von Krieg und Nazi-Zeit zu tun, und das gilt wohl auch für die Zukunft. Diese Schuld ist Teil der Kultur, aber zugleich ist der Umgang mit der Vergangenheit doch ein sehr offener und offensiver. Man hat die Lektion gelernt und tut sein Bestes. Was man am Jüdischen Museum in Berlin oder am Holocaust-Mahnmal sehen kann, aber auch spürt, wenn man mit den Menschen spricht.
FOCUS: Als Nächstes drehen Sie mit Clint Eastwood einen Film über den FBI-Chef J. Edgar Hoover?
DiCaprio: Es ist noch nicht fix, aber es ist das vielversprechendste Projekt im Moment.
FOCUS: Eastwood ist ja ein ganz anderer Typ Filmemacher als etwa Martin Scorsese, mit dem Sie zuletzt viel gearbeitet haben . . .
DiCaprio: Er hat sein eigenes System und damit viel Erfolg. Er arbeitet aus dem Bauch heraus und geht Figuren und Geschichte eher realistisch an. Wir bekamen beide dieses Drehbuch in die Finger und waren begeistert. Hoover hat ja nicht nur ein Doppelleben geführt, sondern war irgendwie in jedes Desaster der jüngeren US-Geschichte involviert, von den großen Gangster-Kriegen über die Ermordung von JFK oder Martin Luther King bis zum Vietnamkrieg. Ich bin ganz froh, wenn ich eine historische Figur habe, an die ich mich anlehnen kann und nicht alles erfinden muss. Manchmal ist die Realität ja viel bizarrer, als man es sich in seinen Träumen ausmalen könnte. Und Hoover ist so eine Geschichte.
Freitag, 20. August 2010
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